“Jedes Semester ein Abitur“ – Interview mit der BA-Studentin Katrin
Interview mit Katrin B. zu Klausurenboykotts, dem Masterabschluss im Lehramt, dem Faktor Angst im Studium und die Perspektiven der Entwicklung der Studienreform
Katrin studiert im 4.Semester Lehramt an Gymnasien auf Bachelor mit den Unterrichtsfächern Englisch und Französisch. Sie gehört zur ersten Generation der Bachelorstudierenden an der Fakultät Erziehungswissenschaft, Psychologie, Bewegungswissenschaft der Uni Hamburg. Sie ist im Fachschaftsrat der Lehramtsstudierenden an allgemeinbildenden Schulen aktiv und arbeitet als studentische Vertreterin im Ausschuss für die Einführung der Masterstudienordnung im Lehramtsstudium mit.
Das Interview führte Florian M. am 6.7.2009
Ich habe gehört, dass du mit anderen KommilitonInnen und eurer kompletten Vorlesung in der vergangenen Woche die Abschlussklausur in der Englischdidaktik boykottiert hast. Wie seid ihr darauf gekommen?
Die Idee zu diesem „Boykott“ ist mit Kommilitonen entstanden, die im gleichen Semester sind und auch Englisch studieren. Wir sitzen zusammen in den Veranstaltungen des Moduls „Einführung in die Englischdidaktik“ und wir sind außerdem studentische Vertreter in dem Lehramtsausschuss für die Konzeption des Masters. Und da haben wir uns überlegt, dass man eigentlich auch schon auf einer konkreteren Ebene etwas gegen Prüfungsstress machen kann, als nur in den Fachspezifischen Bestimmungen.
Warum habt ihr die Klausur boykottiert?
Einerseits haben wir inhaltlich in dieser Vorlesung sehr viel darüber gesprochen, wie man eine günstige Lernathmosphäre schaffen kann und was für Lerntheorien man auch für den Englischunterricht zugrunde legen kann. Dabei ist als Fazit einer Sitzung z.B. herausgekommen, dass die Lernathmosphäre angstfrei sein muss. Die Lernenden dürfen keine Angst vor den „Repressionsmaßnahmen“ der Lehrer haben müssen.
Eine andere Sache ist, dass Austausch eine ganz wichtige Sache ist, das man sich also gegenseitig weiterbringt und dass das viel mehr bringt, als wenn jeder für sich etwas auswendig lernt. Nur so lässt sich der Lernstoff verankern.
Das war also das Fazit. Und dann haben wir uns überlegt, dass es eigentlich nicht sein kann, dass man in einer Vorlesung, in der man solche Inhalte erarbeitet, diese Inhalte mit einer Klausur abprüft. Denn es ging in der Vorlesung nicht darum, abprüfbares Wissen zu produzieren sondern um die Perspektive auf mein weiteres Studium und meine Tätigkeit als Englischlehrerin. Insofern fanden wir es widersprüchlich dort eine Klausur zu schreiben.
Ein weiterer Anlass waren die Vollversammlungen am Fachbereich, auf denen richtig viele Kommilitonen waren, die von Stress aufgefressen werden. Wir haben uns überlegt, dass wir mit einem Boykott der Klausur etwas gegen diesen Stress tun können.
Wie habt ihr den Boykott konkret organisiert?
Wir haben erstmal von unserer Seite aus einen Brief verfasst und den Brief zwei Wochen vorm Klausurtermin in der Vorlesung verteilt. Dann haben wir geäußert, dass wir gerne in der nächsten Sitzung darüber sprechen möchten, wenn sich alle den Brief durchgelesen und sich überlegt haben, wie sie zu der Klausur stehen. Unsere Professorin hat dem zugestimmt und gesagt: „Ja, ist in Ordnung, machen wir.“ Nach der Vorlesung hat sie aber auch gleich ihre Bedenken geäußert: Sie sagte sinngemäß, dass sie eine Vorlesung ohne Klausur für sinnlos halte. Darauf dachten wir uns schon, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass das Ganze vielleicht doch nichts wird.
In der folgenden Woche haben wir uns dann in der Vorlesung darüber unterhalten und es wurde schnell deutlich, dass eigentlich niemand diese Klausur schreiben möchte.
Es gab also ein durchweg positives Feedback von den Studierenden?
Ja, auf jeden Fall. Die Überlastung war sehr deutlich. Es war auch niemandem klar, wie man sich auf die Klausur vorbereiten sollte, also ob man jetzt einfach zu Hause alles auswendig lernen soll. Das hätte niemand gewollt. Dann kam das Argument: Es gibt ja vielleicht welche, die die Klausur schreiben wollen… Die gab es aber nicht. Nur zwei, drei Leute von 40 meinten: „Hm, vielleicht ist eine Klausur doch nicht so schlecht.“ Dann haben wir weiter diskutiert und sind zu zwei Möglichkeiten gekommen: Die erste war, eine „Open-Book-Klausur“ zu schreiben, also dass alle hinkommen und ihre ganzen Materialien, also die ganzen Handouts und die Powerpoint-Folien, die wir bekommen haben, mitbringen und damit die Fragen beantworten können. Die andere Möglichkeit war, dass wir die Klausur mit nach Hause nehmen können, uns zu Hause mit dem Thema auseinander setzen und das dann gemeinsam in der letzten Sitzung auswerten und wir uns dann Notizen machen, was gefehlt hat, was noch hätte berücksichtigt werden müssen.
Wir haben dann abgestimmt: 3 Leute haben sich enthalten, für die Open-Book-Klausur waren 2-3 Leute, und der ganze Rest – ca. 35 (von normalerweise insgesamt 50 Teilnehmenden) – war dafür, die Klausur für zwei Wochen mit nach Hause zu nehmen, die Aufgaben dort zu bearbeiten und dann in der Vorlesung zu besprechen.
Was vielleicht noch ganz wichtig ist: Es waren nicht nur Bachelor-Studierende, sondern auch StaatsexamlerInnen. Die brachten den Einwand, dass sie laut ihrer Prüfungsordnung in der Fachdidaktik eine Klausur geschrieben haben müssten. Unsere Professorin meinte dann aber, dass die Prüfung trotzdem als Klausur gewertet werden könnte, weil man sich ja trotzdem hinsetzt und Fragen bearbeitet. Damit war das Vorgehen dann auch für die in Ordnung. Im Anschluss kamen dann auch noch viele Leute zu uns und haben sich positiv darüber geäußert und sich gefreut, dass wir das gemacht haben.
Ich möchte zum Thema Angst im Studium eine Frage stellen. Ihr ruft das Thema ja auch in eurem Schreiben auf, wenn ihr schreibt: „Wäre es nicht schön, wenn wir uns auf die letzte Sitzung der Vorlesung freuen könnten, anstatt davor Angst zu haben?“ Was für eine Rolle spielt Angst in deinem Studium?
Generell würde ich sagen, dass ich das im Semester ganz gut ausblenden kann. Ich versuche, mich auf die Veranstaltungen zu konzentrieren, aber es ist trotzdem so, dass es in den letzten drei, vier Wochen des Semesters immer unterschwellig mit dabei ist. Ich weiß dann: Ich habe noch ein paar Wochen Zeit, um mich irgendwie auf so und so viele Klausuren und Hausarbeiten vorzubereiten. Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich zu Hause sitze und Angst- oder Panikattacken bekomme, aber es spielt halt immer mit.
Warum haben die Bachelorstudierenden Angst?
Ich glaube, wir schreiben gar nicht so viel mehr Prüfungen als die Staatsexamler, bei uns ist es nur so, dass jede Note, die wir bekommen, in die Bachelor-Note eingeht. Wir wissen, dass es in Jahrgängen, in denen viele angenommen wurden, sein kann, dass nicht alle einen Masterplatz bekommen. Wenn es zu einer Auswahl kommt, dann ist die Note das Auswahlkriterium und das wird wohl auch so in dieser Auswahlsatzung [1] stehen. Daraus resultiert dann dieser Druck.
Das ist nicht nur eine Angst davor, dass man eine Veranstaltung nicht besteht, sondern auch davor, was dann da für eine Zahl steht. Im Prinzip entfernt einen jede „schlechte“ Note von einem Masterplatz.
Du hattest ja gesagt, dass du auch in dem Ausschuss für die Einführung des Master im Lehramtsstudium sitzt. Kannst du da etwas zu den Übergangsquoten sagen?
Es gibt ja eine Berechnung von den zur Verfügung stehenden Plätzen. Dieser Berechnung wird die Erfolgsquote „des Bachelors“ zugrunde gelegt. Die wurde für alle Studiengänge gleich festgelegt, und zwar auf 0,7 also 70%, was auch keine bessere Quote ist, als in den alten Studiengängen. Dann gibt es eine lehramtsspezifische Übergangsquote und die ist 0,95 [2]. Beide Quoten wurden miteinander multipliziert; dabei kommen dann 0,68 raus. Also werden 68% der Leute, die auf Bachelor angefangen haben, einen Masterplatz bekommen. Wichtig ist, dass diese Berechnung eine einmalige Grundlage für die Festlegung der Kapazitäten war, es wird also nicht jedes Jahr neu berechnet mit der tatsächlichen Erfolgsquote. Es stehen letztlich rund 900 Bachelorplätzen 600 Masterplätze gegenüber (alle Lehrämter). So, das ist erstmal die Berechnung. Die Abbrecherzahlen sind schwierig zu erschließen, weil man nicht weiß, ob diejenigen ein anderes Unterrichtsfach gewählt haben oder ein anderes Lehramt…
Man kann aber schon sehen, dass viele Leute abgebrochen haben, auch aus unserem ersten Jahrgang. Und konkret für den ersten Jahrgang wird es sowieso nicht so ein Problem geben, weil viele länger brauchen, das zeichnet sich jetzt schon ab. Zum Anderen wurden in unserem Jahrgang weniger Leute zugelassen als es Plätze gab, d.h. für den ersten Jahrgang ist diese Angst eigentlich unbegründet. Schwierig wird es ab dem zweiten Jahrgang, weil dort mehr Leute zugelassen wurden, als es Plätze gab, weil sich viele eingeklagt haben. Dann kommen die Leute aus dem ersten Jahrgang dazu, die es nicht rechtzeitig geschafft haben, weil bei uns vieles unklar war. Ich gehe schon davon aus, dass es in den nächsten Jahrgängen mehr Leute gibt, die den Bachelor in der Regelstudienzeit schaffen oder sich das vornehmen. Das heißt ab dem zweiten Jahrgang kann es dann schon sein, dass diese Angst nicht ganz unbegründet ist.
Also es findet dann schon ein Wettbewerb um die raren Masterplätze statt?
Ja, würde ich sagen… Das ist natürlich auch immer fächerabhängig. Wenn jetzt z.B. jemand Physik als Unterrichtsfach hat, hat der einfach bessere Aussichten, weil die Plätze in Physik nie voll sind. Und in unserem Jahrgang studieren z.B. 13 Leute Physik als Unterrichtsfach. D.h. die Leute können eigentlich relativ frei sein mit ihren Noten. Wer aber z.B. Geschichte oder Deutsch als Unterrichtsfach studiert, für den sieht das dann wesentlich anders aus.
Wenn du mit KommilitonInnen sprichst, die auch auf Lehramt studieren, inwiefern spielt das in Gesprächen eine Rolle? Also machen sich die Leute Gedanken darüber, wie es in ihrem Studium nach dem Bachelor weitergeht?
Auf jeden Fall! Ich würde sagen, dass das schon die ganze Zeit eine Rolle spielt, eben weil es halt nicht diese Aussage gibt, dass es für alle einen Masterplatz gibt, sondern schon ganz klar gesagt wird „Okay, es gibt diese Garantie nicht.“ Unabhängig von Abbrecherzahlen…
Wie wird darauf reagiert?
Leute gehen z.B. nicht mehr zu Vollversammlungen, und das wurde mir auch wirklich so gesagt. Sie sagen dann, „Ich geh lieber zu meinem Seminar, weil jetzt weiß ich ja, dass meine Note zählt und dass das eine gute Note sein muss. Dann geh ich da lieber hin, damit ich eine gute Note bekomme.“ Das hält auf jeden Fall ab von Engagement, weil das einfach schwierig zu verbinden ist: die ganze Zeit, in jedem Fach, in jeder Klausur gute Noten zu schreiben und sich zu engagieren oder Freizeit zu haben oder zu arbeiten.
Spielt das in den Überlegungen in den Ausschüssen eine Rolle? Also ist es erwünscht, dass sich die Studierenden mit hochschulpolitischen Fragen auseinander setzen und dazu eine Position beziehen? Werden dafür „Räume“ geschaffen?
Nein, also wir haben ja als Grundlage dieser Konzeption diese „Workloads“ von so und so viel Stunden. Und da zählt Präsenz in Veranstaltungen, Vor- und Nachbereitung und Leistungen, die ich erbringe, aber da spielt halt überhaupt keine Rolle, was man sonst noch für einen „Workload“ hat.
Freie Zeit oder frei verfügbare Zeit, die man für was auch immer an der Uni einsetzen kann, ist da nicht eingerechnet?
Nein, auf keinen Fall. Wir versuchen eher in diese Workload möglichst viel Inhalt reinzuzwängen und das ist halt sehr oft total schwierig. Wir stellen oft fest: Diesen wichtigen Bereich haben wir noch gar nicht abgedeckt. Wir brauchen hier noch Leistungspunkte dafür. In dem Workshop zu den Bachelorstudiengängen in den Geisteswissenschaften am vergangenen Freitag gab es von einem Anwesenden den Vorschlag, dass man ja auch Engagement an der Uni in den Studienplan integrieren könnte und da wurde dann ziemlich kontrovers drüber diskutiert, weil es dann eben auch diesen Engagementcharakter widerlegt. Engagement ist halt etwas, das auf freiwilliger Basis funktioniert und wenn das zur Pflicht wird, widerspricht das einfach diesem Gedanken.
Engagement braucht ja auf jeden Fall verfügbare Zeit bzw. Zeitressourcen. Vielleicht kannst du etwas dazu sagen, wie du das selber machst: Du studierst auf Bachelor, bist gleichzeitig im Fachschaftsrat und in diesem Ausschuss aktiv, was sicherlich auch viel Zeit und Energie kostet. Wie machst du das mit deinem Studium?
Ich habe mir von Anfang an die Frage gestellt: Muss ich das unbedingt in sechs Semestern schaffen? Ich hab mir dann angeguckt, ob das wirklich sein muss und festgestellt, dass acht Semester auch in Ordnung sind. Und selbst darüber hinaus kann man das Studium noch ausweiten, wenn man das begründen kann. Ich habe mich dann letztendlich bewusst dazu entschieden, mir mehr Zeit zu nehmen. Ich muss dazu aber sagen, dass ich nicht finanziell abhängig von BAFÖG bin.
Wenn ich dann Kommilitonen sehe, bei denen das so ist und die Regelstudienzeit für die Berechnung des BAFÖG zugrunde gelegt wird, dann überlegt man sich natürlich ob man sich mehr Zeit gönnen kann. Aber so hab ich das quasi gemacht: Es war im Prinzip eine bewusste Entscheidung.
Der Notenzwang betrifft mich natürlich auch. Er resultiert aber letztlich nicht nur aus der begrenzten Anzahl an Masterplätzen, die Bedeutung von „guten Noten“ als Selbstzweck kommt auch aus der Studienordnung. Sie erweckt den Eindruck, dass die Qualität des Studiums direkt mit den Noten zusammenhängt.
Ich bin auch ein Opfer dieses Denkens. Man kann das zwar hinterfragen, aber es ist trotzdem schwer sich diesem Denken zu entziehen.
Insgesamt finde ich diesen Zustand sehr schade. Mein Studium habe ich mir anders vorgestellt. Das jetzige System kenne ich bereits aus der Schule. Es wird mir gesagt, was ich zu lernen habe und die Bewertung ob und wie gut ich gelernt habe, kommt nicht selbstbestimmt von mir, sondern von einer Person, die vorne steht. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass im Studium andere Dinge zählen.
In den vergangenen vier Semestern habe ich so viel auswendig gelernt… Es ist eigentlich so, als ob man am Ende jedes Semesters ein Abi schreibt.
Inwiefern hältst du es für möglich, in diesem Rahmen ein selbstbestimmtes Studium durchzuführen?
Durch taktisches Verhalten, würde ich sagen. Also dass ich für die Veranstaltungen, die ich, wenn ich mich frei entscheiden könnte, nicht belegen würde, einfach minimalen Aufwand betreibe und versuche, soviel wie möglich rauszukriegen, was die Note betrifft. Also krasses ökonomisches Denken… Und dass ich mich inhaltlich dann mehr auf die Veranstaltungen konzentriere, die mir wichtig sind und dort dann auch mehr mache… Zeitmanagement ist eine Kompetenz, die man bei diesem Studium wirklich lernt…
Wieviel schläfst du im Durchschnitt?
Also eigentlich habe ich Zeit zum Schlafen, aber gerade zum Ende des Semesters, … vielleicht fünf Stunden?! Also effektiv schlafen. Grade auch weil das jetzt mit dem Ausschuss in die letzte Phase geht, geht mir das immer im Kopf herum, weil man versucht zu schauen: Wird das jetzt wirklich besser durch das was wir da machen? Und dann noch der Druck: nächste Woche Klausuren, dann Hausarbeiten; das lässt einen einfach nicht los. Und das ist dann auch das, was dann so ein „Ausbrennen“ verursacht. Selbst wenn du Freizeit hast, bist du halt nie frei davon. Es ist im Prinzip keine Freizeit, sondern nur eine kurze Auszeit in der ich physisch nichts mache, aber gedanklich noch drin bin.
Zum Thema „Ausbrennen“, Burnout oder derartige Reaktionen auf das Studium: Hast du das bei KommilitonInnen erlebt oder haben sie dir davon berichtet?
Ja. Also es studieren aus meiner OE ziemlich viele die gleiche Fächerkombination wie ich, die sich dann aber nicht dafür entschieden haben, weniger zu machen. Die haben das dann vom ersten Semester an so durchgezogen. Also Erziehungswissenschaft plus Unterrichtsfächer Englisch und Französisch: 27 Semesterwochenstunden (SWS) und etliche Prüfungen am Ende des ersten Semesters. Das ist wirklich viel, weil man sehr viele Sprachlehrveranstaltungen hat, in denen man jede Woche auch wirklich viel lernen muss. Man lernt halt eine Sprache nur indem man sich viel mit ihr beschäftigt. Zwei Sprachen zu kombinieren ist sowieso schwierig. Aber wenn du 27 SWS hast, hast du einfach nicht mehr Zeit für ein Selbststudium.
Eine Kommilitonin, die auch im vierten Semester ist, muss nebenbei sehr viel arbeiten, ca. 20 Stunden in der Woche. Und ich würde schon sagen, dass sie ziemlich fertig ist. Ich habe schon Angst um sie, dass sie nach diesem Semester sagt: „Boah, ich brauche jetzt erstmal ein Urlaubssemester!“
Also es geht schon über die Grenzen der Energie hinaus?
Ja, man merkt halt auch, wenn man das z.B. mal in Veranstaltungen anspricht – und wir haben gerade in der Protestwoche in der besagten Vorlesung über den Bachelor diskutiert – dass sie dem Weinen nahe und total erschöpft ist. Man sieht ihr schon an, dass ihr das Studium so keinen Spaß macht. Aber sie kann sich einfach nicht davon befreien.
Und sie geht nicht ins Ausland, was sie sich eigentlich immer vorgestellt hat. Aber das fällt alles unter den Tisch.
Dabei ist der internationale Austausch doch eigentlich eines der Ziele, die durch die Einführung des Bachelor optimiert werden sollten.
Ja, eigentlich schon… Ich plane gerade ein Auslandssemester in England. Und es ist einfach viel schwieriger. Hätte ich jetzt noch einen Studienplan wie in den alten Studiengängen und hätte ich einen großen freien Bereich in dem ich Veranstaltungen besuchen soll, dann könnte ich mir fast alles anrechnen lassen, was ich dort belege. So kann ich mir von all den Veranstaltungen, die ich dort besuche, drei anrechnen lassen, weil nur die in das passen, was in den Modulbeschreibungen steht. Dort steht ja nicht nur, dass man eine bestimmte Anzahl von SWS ableisten soll, sondern es werden relativ genau Inhalte [3] definiert, es wird eine Prüfungsform definiert, es wird eine Präsenzzeit definiert und das muss alles irgendwie äquivalent sein. Letztendlich kommt es dann auf den guten Willen des Dozenten an, der da Koordinator ist, also ob der in der Anrechnung kulant ist oder ob der den Modulplan für gottgegeben ansieht.
Andererseits finde ich das auch gar nicht so schlecht, weil ich dadurch die Möglichkeit habe, mir wirklich das auszusuchen, worauf ich Lust habe statt nur meinen Modulplan zu folgen. Das ist dann quasi das erste Mal in meinem Studium.
In einem System was an und für sich noch viel restriktiver ist, aber dadurch, dass ich dort nicht in dem System selber bin, kann ich mich dort freier bewegen, was ich hier nicht kann.
Was für eine Perspektive siehst du, um das System hier menschen- bzw. studienfreundlicher zu machen?
Das ist schwierig. Eine Sache wäre natürlich kurzfristig mehr Zeit und mehr Freiraum zu lassen, also z.B. größere Anteile des Studiums fakultativ zu machen, was sicherlich zunächst mal dazu führen würde, dass sich die Leute den Freiraum auch nehmen und erstmal nicht zu den Veranstaltungen kommen würden, was ich aber auch in Ordnung finde. Wenn man erstmal eine Freiraum hat, dann schätzt man den und will den auch irgendwie nutzen. Das wäre eine Sache.
Andererseits sehe ich innerhalb des Systems wenig Perspektiven, weil es einfach so konzipiert ist. Ich kann die Vorstellung, dass die Idee dahinter gut, nur die Umsetzung schlecht ist, nicht mehr teilen. Ich merke das ja jetzt in dem Ausschuss, dass es nicht nur an der Umsetzung liegt. Wir versuchen das ja so gut wie möglich mit Studierenden und Lehrenden umzusetzen, aber oft sind uns einfach die Hände gebunden, weil es da Vorgaben von der KMK, dem Hamburger Senat etc., gibt. Von wem genau diese Zwänge kommen, kann ich gar nicht beurteilen. Aber wir wollten zu diesem Thema auch den Fakultätsrat anregen, sich juristischen Rat zu holen um zu klären, was wirklich sein muss, was wir eventuell zu ernst nehmen und was für einen Spielraum wir eigentlich innerhalb des Systems hätten? Momentan sehe ich diesen Spielraum nicht.
Ich würde sagen: Rigoros abschaffen und eine Studienreform machen, die das umsetzt, was man sich unter einem Studium vorstellt. Es kann nicht sein, dass es vorher eine Struktur gibt und man dann versucht, möglichst alles reinzuzwängen, was man für ein Studium hält. Man müsste den umgekehrten Weg gehen und von inhaltlichen Überlegungen zu einer Struktur kommen und nicht eine Struktur über den Inhalt bestimmen lassen.
Vielen Dank für das Interview!
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- Fußnoten:
[1] Für die Zulassung zum Master wird es zwei Satzungen geben: Eine Zugangssatzung, die Voraussetzungen für eine Bewerbung definiert, und eine Auswahlsatzung, die Kriterien für die Auswahl der BewerberInnen festlegt. Die Zugangssatzung spielt in jedem Falle eine Rolle; die dort genannten Kriterien müssen von allen BewerberInnen erfüllt werden. Für die Zugangssatzung zum Lehramtsmaster hatte der Beirat des Zentrums für Lehrerbildung eine Notenschwelle von 3,0 im Bachelorteilstudiengang Erziehungswssenschaft vorgeschlagen. Diese Notenschwelle wird von vielen Fakultätsmitgliedern sehr kritisch gesehen, der Ausschuss für die Umstellung der Lehramtsstudiengänge auf das BaMa-System hat sich dagegen ausgesprochen. Einen Beschluss hierzu gibt es aber noch nicht. Die Auswahlsatzung wird erst dann wichtig, sobald es mehr BewerberInnen als Masterplätze gibt. Das Hauptkriterium für eine Auswahl der BewerberInnen wird die Bachelornote sein (NC).
[2] Für andere Studiengänge gelten andere Übergangsquoten: 0,8 für die MIN-Fakultät, 0,6 für alle anderen. Diese Übergangsquoten werden zur Berechnung der Masterplätze aber ebenfalls mit einer Ba-Erfolgsquote von 0,7 multipliziert.
[3] Diese inhaltliche Ausformulierung der Module variiert von Fach zu Fach. Im Teilstudiengang Erziehungswissenschaft sind die Module sehr genau definiert, weniger frei als in meinen Unterrichtsfächern Englisch und Französisch.