„Für eine konsequente Studienreform“ – Resolution der studentischen Vollversammlung am 23.05.2012
Auf der studentischen Vollversammlung am 23. Mai wurde folgende Resolution „Für eine konsequente Studienreform“ nach intensiver Diskussion mehrheitlich beschlossen. Wir dokumentieren sie hier:
Für eine konsequente Studienreform
Die Studierendenschaft der Universität Hamburg tritt für eine verantwortungsvolle Wissenschaft ein, die auf die Bildung kritisch-mündiger Bürger*Innen und das gesellschaftliche Eingreifen für die Entwicklung von Frieden und allgemeiner Wohlfahrt gerichtet ist. Sie wendet sich damit klar gegen Bildung als „employablity“ (Arbeitsverwendbarkeit) und „just-in-time“ Wissenschaft zur Lieferung unmittelbar profitabler Forschungsergebnisse. Mit diesen Maßstäben für die Entwicklung von Bildung und Wissenschaft haben die Mitglieder der Universität im vergangenen Jahr den „Kampf um die Zukunft“ für die Ausfinanzierung der Hochschule geführt. Sie haben damit auch Einfluß genommen auf das Wissenschaftsverständnis in der Auseinandersetzung um den weiteren Bologna-Prozess. So mußte auf Initiative aus Hamburg die Konferenz der europäischen Minister*Innen für Wissenschaften in Bukarest ihr bisher betriebenes rein marktorientiertes Wissenschaftsverständnis durch die Aufnahme folgender Formulierung relativieren:
„Higher education should be an open process in which students develop intellectual independence and personal self-assuredness alongside disciplinary knowledge and skills. Through the pursuit of academic learning and research, students should acquire the ability confidently to assess situations and ground their actions in critical thought.“
Mit der emanzipatorischen Bildungsabsicht ist es auch an der Uni gelungen, beim „dies academicus“ vom 17. April 2012 Ansprüche für eine weitgehende Revision des Bachelor-Master-Systems für die gesamte Uni zu verallgemeinern. Diese Hervorbringungen wollen wir weiter vorantreiben. Verantwortungsvolle Wissenschaft für Frieden und soziale Gerechtigkeit und ein entsprechendes Studium sind nur möglich,
- wenn sie befreit werden von den Fristen für Studienverlauf und Prüfungen einschließlich der Regelstudienzeit als Verhaltensnorm für Studierende,
- wenn die Prüfungen in Zahl und Umfang massiv reduziert werden, damit es um kooperative Erkenntnisentwicklung statt angstgeprägte Abfragerei geht,
- wenn jedE*r Studierende die Wahl hat in welcher Form sie ihr Prüfungsleistung erbringt (ob Klausur, Referat, Hausarbeit oder andere),
- wenn die starre Modularisierung zu Gunsten von Wissenschaft im Prozeß überwunden wird,
- wenn der stete Entwicklungscharakter der Wissenschaft auch Ausdruck findet in der erheblichen Reduzierung des Anteils der Pflichtveranstaltungen (Vorlesungen, Praktika, Seminare, etc), zu Gunsten eigenständiger studentischer Studiengestaltung einschließlich des praktischen Vollzug der Abschaffung von Anwesenheitspflicht,
- wenn inhaltsfreies Softskillpauken im ABK durch exemplarisch vertiefendes Projektstudium abgelöst wird,
- wenn es keine Stufungen im Studium (Ba/Ma) mehr gibt, die auf Selektion und Panikmache gerichtet sind,
- wenn durch BaföG für Alle als Vollzuschuß und die Abschaffung aller Studiengebühren die Bildungssubjekte ohne soziale Bedrängungen handeln können,
- wenn die Mitglieder der Uni als Subjekte von Bildung und Wissenschaft aus den Erkenntnisprozessen der kritischen Auseinandersetzung mit der Welt heraus auch die volle demokratische Gestaltungshoheit über die Studiengänge haben,
- wenn die künstliche Trennung der Wissenschaften untereinander in den Fakultäten durch interdisziplinäre Forschung und Lehre überwunden wird,
- wenn die Hochschulen sozial geöffnet werden durch die Überwindung von Zugangsbeschränkungen.
Von Bürgerschaft, Senat und Wissenschaftsbehörde erwarten wir daher,
- die Aufhebung aller gesetzlichen Detailvorgaben für die Studiengestaltung,
- die Abschaffung der privatrechtlichen Akkreditierung zugunsten demokratischer Hochschulstrukturen,
- die Abschaffung sämtlicher Studiengebühren und ihre volle staatliche Kompensation,
- die Ausfinanzierung einer verantwortungsvollen Wissenschaft.
Diese hier formulierten Ziele und Neuorientierung von Bildung und Wissenschaft werden wir durch Aufklärungsarbeit und Aktionen auf dem Campus, bei Fakultätsräten, in Bürgerschaft und gegenüber der Behörde solidarisch engagiert verfolgen.
Als Linker sehe ich diesen Forderungskatalog eher zwiespältig – aus zwei Gründen:
a)Die meisten Forderungen sind „an sich“ vernünftig, gehen aber am eigentlichen Problem vorbei.Kritische Wissenschaft und soziale Gerechtigkeit scheitern an der Uni ganz gewiss NICHT deshalb, weil die Studierenden keine Zeit hätten. Die Ursache liegt eher in mentalen Verschiebungen – z.B. fehlen ernsthafte Leitideen (Marxismus usw.), für die sich die Studierenden ernsthaft interessieren. Auch viele Pädagogik-Studierende sind im eigenen Leben eher individualistisch und privatistisch orientiert, wollen ein berufs- und kindernahes Studium und haben mit Weltverbesserei oder sonstigem Tiefsinn wenig am Hut. Und die soziale Offenheit hält sich sehr in Grenzen…
Man sieht es auch daran, dass die Kultur-und Bildungsproteste ausgesprochen inhaltsarm sind, sobald es mal NICHT um Geld, Immobilien oder Freiräume geht.
b) Der Forderungskatalog wird eigentlich nur dort konkret, wo er eine Individualisierung des Studiums will. Damit reiht er sich ein in den neoliberalen Relativismus und Subjektivismus, der von vornherein nicht an sozialwissenschaftliche Wahrheiten glaubt: Jeder hat seine eigene Wahrheit! Jeder hat seinen eigenen Horizont!
Der Neoliberalismus ist an möglichst labberigen, unverbindlichen und unpräzisen Sozialwissenschaften interessiert – das Leistungsprinzip soll nur im technischen Bereich gelten…
Ein Austausch unter Studierenden, ein kritischer Diskurs, wird unmöglich, wenn jeder etwas anderes lernt. Die studentische Sprachlosigkeit hat ihre Ursache auch in der völligen DEREGULIERUNG DER VORSTELLUNGSHORIZONTE.
c) Es ist nicht sehr professionell, Bildungsinhalte konsequent dem Zufallsprinzip zu überlassen, wie es in den Geisteswissenschaften gepflegt wird. Was man bräuchte, wäre ein durchdachter, interdisziplinärer Studiengang mit festem Themenkanon. Sonst wird man die geistige Leere nie überwinden, die das studentische Leben in Wahrheit heute prägt.