Einladung zur Buchvorstellung

„Anna Siemsen: Mein Leben in Deutschland und andere Texte“ | am 11.12.2024, um 18:15 Uhr | Von-Melle-Park 8/Raum 06

„Es gab indessen auf dem Gebiet der Geisteswissenschaft zwei Doktrinen, die als Grundwahrheiten gepredigt wurden: die Amoralität der Politik und der Herrschaftsanspruch der Deutschen auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet. Es war der Imperialismus des Kaiserreichs in der besondern Ausprägung, die er zunächst durch Bismarck, dann durch das Alldeutschtum erhalten hatte. (…) Der Grundsatz: In der Politik ist Recht, was Erfolg verspricht, und der zweite: Für den Deutschen ist Recht, was die Macht des deutschen Volkes erhöht, waren unbestritten und wurden sehr naiv mit ganz abweichenden und teilweise radikalen individuellen Anschauungen vereint. Mit diesen Überzeugungen ging die Generation der Akademiker in den Krieg.“
(Anna Siemsen, „Mein Leben in Deutschland“, 1939/40.)

„Die Mitglieder der Universität wollen die universitären Aufgaben in der Verbindung von Forschung und Lehre, Bildung und Ausbildung in wissenschaftlicher Unabhängigkeit erfüllen. Sie wollen zur Entwicklung einer humanen, demokratischen und gerechten Gesellschaft beitragen (…) Für alle Menschen will sie [die Universität] ein Ort lebenslangen Lernens sein und ein öffentlicher Raum der kulturellen, sozialen und politischen Auseinandersetzung.“
(Leitbild der Universität Hamburg, beschlossen durch den Akademischen Senat 1998)

Als Konsequenzen aus Faschismus und dabei der unrühmlichen Rolle einer sich selbst genügenden, elitären Wissenschaften galt nach der Befreiung die Einsicht, dass jeder Hochschulbetrieb nur als Dienst am Menschen, welcher der gesamten Bevölkerung gilt, gerechtfertigt ist.

Diese Schlussfolgerung weiterreichend in die Tat umzusetzen ging „1968“ maßgeblich von uns Studierenden aus. Im Zuge kritischer und auf Frieden orientierter Wissenschaft sind u.a. die ersten Zivilklauseln an den Universitäten verankert worden.
Im Konflikt mit diesem zivilen und demokratischen Anspruch der Wissenschaft wird das Bildungswesen gegenwärtig von Seiten der Bundesregierung zunehmend in den Fokus von Militarisierungsbestrebungen genommen. Im März 2023 formulierte die vormalige Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger: „Zeitenwende findet im Kopf statt“. Die Bundeswehr wirbt verstärkt um Minderjährige: Soldaten in Uniform besuchen Kitas, Social Media-Kampagnen werden groß aufgezogen, es finden Benefizveranstaltungen der Bundeswehr in der Jugendhilfe statt und Jugendoffiziere kommen regelmäßig in die Schulen. Und die Zivilklauseln an diversen Wissenschaftseinrichtungen werden zur Disposition gestellt
Damit sind auch die Hochschulmitglieder neu herausgefordert, „vornehme“ politische Zurückhaltung zu Überwinden und historisch bewusst für die zivile Bedeutung der Wissenschaften einzutreten. Für entsprechende Erkenntnisse und den Mut für das kritische Engagement geben Anna Siemsen und ihr nun erstmalig veröffentlichten Text „Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933“ reichlich Anhaltspunkte.
 

In dem in den Jahren 1939 und 1940 verfassten Essay beschreibt Anna Siemsen die Genese des deutschen Faschismus anhand vieler biografischer Erfahrungen und Einschätzungen. Der bürgerlich-militaristische Erziehungsdrill der preußischen Schule spielt dabei eine besondere Rolle, in dessen Konsequenz sie für ein demokratisch-sozialistisches Bildungswesen kämpfte. Demokratie, Frieden und Sozialismus bilden für Anna Siemsen eine Einheit: „Die Erfahrung dieser Weltkriege hat uns gezeigt, daß nur die Demokratie friedenbewahrend ist, sie hat weiter gezeigt, daß die politische Demokratie [das Recht des Volkes, seine Gesetzgeber und seine Regierung selber zu wählen] nicht ausreicht, sondern zur sozialen Demokratie ausgebaut werden muß [in der jeder Staatsbürger auch imstande ist, ohne Not und Angst, in Freiheit und in richtiger Erkenntnis seine Entscheidung zu treffen und seinen Teil an der Verantwortung zu tragen]. Das ist es, was wir meinen, wenn wir sagen, daß die Stunde des Sozialismus gekommen ist.“ (Anna Siemsen: Einführung in den Sozialismus, 1947, S. 10)

In der Auseinandersetzung mit Anna Siemsens Text und Wirken wollen wir die aktuelle Verantwortung des Bildungssystems – und hier insbesondere der Universität – für das „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ diskutieren. Wie können Schule und Hochschule eine friedensorientierte, demokratische, egalitäre und kulturell-anregende gesellschaftliche Entwicklung befördern? 

Wir laden alle ein, sich an dieser Auseinandersetzung zu beteiligen und mit Anna Siemsen aus der Geschichte zu lernen.

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