Veranstaltungsreihe „Aufbrüche in der Pädagogik: 1890-1930“ (WS 21/22)

Update vom 2.12.2021: Aufgrund der letzten Dienstanweisung des Uni-Präsidiums in Verbindung mit dem aktuellen Hygieneplan der UHH muss die Reihe ab dem 7.12.2021 unter 2G-Bedingungen stattfinden. Wir bitten alle Interessierten darum, die entsprechenden Nachweise mitzubringen.

In der Veranstaltungsreihe werden demokratische, progressive und egalitäre Erziehungs- und Bildungskonzepte, -ansätze und -bewegungen, inkl. ihrer zentralen Vertreterinnen und Vertreter, aus der national wie international äußerst ertragreichen Zeit von etwa 1890 bis 1930 in den Blick genommen und ihre Relevanz für heute diskutiert. Es sollen Beiträge aus allgemeiner erziehungs­wissenschaftlicher Perspektive sowie verschiedenen Handlungsfeldern der Pädagogik (Erwach­senenbildung, Schulpädagogik, Sozialpädagogik, Behindertenpädagogik) in die Debatte gebracht und Konsequenzen für Studium, Lehre und Wissenschaft sowie die (pädagogische) Praxis gezogen werden. 

Sie besteht aus acht öffentlichen Vorträgen (dienstags, 18-20 Uhr im Anna-Siemsen-Hörsaal) und einem Begleitseminar (in Raum 05, VMP8), das in den Wochen ohne Vortrag stattfindet. 

Die Veranstaltungsreihe wird von der AG 8. Mai EW organisiert. Für nähere Informationen zur AG siehe unten.

Hier der Terminplan:

12.10. Begleitseminar: Konstituierung

26.10. Vortrag: „Auf/Brüche. Pädagogik und die Ambivalenzen der Moderne (1890-1930)“
(Referentin: Prof. Sylvia Kesper-Biermann (Historische Bildungsforschung))

  • „Kein Zweifel, die […] Pädagogik teilt das Schicksal der Erziehungspraxis: alles gerät in Fluß und Bewegung, die Winde wehen, die festesten Ankertaue reißen und es ist ein Aufbruch überall“, stellte die Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung 1921 fest.
    Dieser Aufbruch bzw. die vielen Aufbrüche zwischen 1890 und 1930 stehen im Zentrum der Vortragsreihe während des kommenden Semesters. In der Auftaktveranstaltung soll der historische Kontext im Überblick, also der Rahmen vorgestellt werden, innerhalb dessen sich die folgenden Themen verorten lassen. Im ersten Teil des Vortrags geht es um die Charakterisierung des Zeitraums von 1890 bis 1930, wobei der Begriff der Moderne im Zentrum steht. Im zweiten Teil werden Schlaglichter auf einzelne zentrale Prozesse in Bildung, Erziehung, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft geworfen. Dabei richtet sich das Augenmerk neben den Aufbrüchen auch auf die Ambivalenzen und Brüche der Epoche.


02.11. Vortrag: „Aufbrüche in der Pädagogik nach dem Ersten Weltkrieg: Die internationale Er­ziehungsbewegung unter lokaler, regionaler und transnationaler Perspektive“ 
(Referentin: Prof. Christine Mayer (Erziehungs- und bildungswissenschaftliche Grundlagenforschung))

  • Nach der internationalen Sommerkonferenz in Calais im April 1921 wurde von England ausgehend durch Beatrice Ensor (London), Adolphe Ferrière (Genf) und Elisabeth Rotten (Berlin) die New Education Fellowship (NEF; Ligue internationale pour l’éducation nouvelle, Internationaler Arbeitskreis für Erneuerung der Erziehung) gegründet, eine internationale und relativ offen strukturierte Vereinigung, die sich nach den Schreckensjahren des Krieges zu einem pädagogisch-demokratischen Aufbruch verpflichtet sah und schon bald zur treibenden Kraft einer internationalen reformorientierten Erziehungsbewegung avancierte, in deren Mittelpunkt die Kommunikation, Rezeption und der transnationale Austausch pädagogischer Ansätze, Ideen und Konzepte einer „neuen Erziehung“ standen, wie diese sich seit der Jahrhundertwende in vielen Ländern herausgebildet haben und die es nun im Rahmen einer länderübergreifenden Initiative in Hinblick auf eine Reform des Erziehungs- und Unterrichtswesens zu befördern galt.
    Dabei hatte man das Ziel vor Augen, die Grundsätze einer auf demokratischen Prinzipien basierenden und auf freier Entfaltung und Selbstbestimmung des Kindes gerichteten Erziehung zu verbreiten und schulisch zu verankern. Zur Zirkulation und zum Austausch der neuen Erziehungsideen wurden unter der Herausgeberschaft des Direktoriums (Ensor, Ferrière und Rotten) Zeitschriften gegründet (The New Era, Pour l’Ère Nouvelle und Das Werdende Zeitalter) und internationale Kongresse organisiert.
    Obwohl sich die NEF von 1921 bis 1939 zur ersten und einflussreichsten Vereinigung einer reformorientierten Pädagogik (Oelkers) entwickelte, ist diese internationale Erziehungsbewegung in der deutschen Bildungsgeschichte bisher kaum beachtet worden.
    Im ersten Teil des Vortrages wird auf die Entwicklungsgeschichte dieser Bewegung näher eingegangen und in einem zweiten Teil werden dann am Beispiel der Hamburger Versuchsschulen und ihrer reformorientierten Volksschullehrerschaft die transnationalen Zirkulations- und Austauschprozesse pädagogischer Ansätze, Ideen und Praktiken im Kontext dieser Reformbewegung aufgezeigt.

09.11. Begleitseminar

16.11. Vortrag: „Gertrud Hermes und die Schule der Arbeit (Leipziger Richtung in der Erwachsenenbildung)“ 
(Referentin: Prof. Anke Grotlüschen (Erwachsenenbildung)) 

  • Die Leipziger Richtung der Erwachsenenbildung in den Weimarer Jahren steht für Arbeiter:innen-Bildung, die durch Volkshochschulen durchgeführt und durch die Universität begleitet wurde. Eine der führenden Persönlichkeiten ist Gertrud Hermes, die programmatisch fordert: „Man löse den Arbeiter nicht von der Masse!“ (1925). Sie leitet ein Volkshochschulheim, das unter dem Begriff „Schule der Arbeit“ bekannt wurde. Die Schule der Arbeit wird bereits 1933 nach einem Überfall durch junge Nationalsozialisten geschlossen, Protestbriefe bleiben wirkungslos.
    Dieses im Bauhausstil errichtete Gebäude eignet sich zur Diskussion der Frage, wessen programmatische Einflüsse sich in der außergewöhnlichen Anlage widerspiegeln und inwiefern ein antiautoritäres Lehr-Lern-Verhältnis in Programmatik und Bauhausgebäude sichtbar werden.

23.11. Vortrag: „Die Schule der werdenden Gesellschaft und ihre Didaktik am Beispiel der Karl-Marx-Schule Berlin-Neukölln 1929-1933“ 
(Referent: Prof. Tilman Grammes (Didaktik sozialwissenschaftlicher Fächer)) 

30.11. Begleitseminar

07.12. Vortrag: „Neue Bahnen – Ein Versuch, mit Pädagogik in ein neues Zeitalter aufzubrechen“ 
(Referentin: Prof. Ingrid Lohmann (Ideen- und Sozialgeschichte der Erziehung/ Historische Bildungsforschung))

  • 1890 trat eine neu gegründete Zeitschrift mit dem Titel „Neue Bahnen“ an. Welche Zukunftsaufgaben darin benannt und welche Lösungswege vorgeschlagen wurden, wird für die Anfangsjahre ihres Erscheinens untersucht. Anliegen der Zeitschrift war es, grundlegende Reformen des Erziehungs- und Unterrichtswesens auf die bildungspolitische Tagesordnung zu setzen; so informierte sie z. B. regelmäßig über die Bestrebungen zur Ausbildungs- und Statusverbesserung der Volks- und Bürgerschullehrerschaft, den Ausbau des Mädchenschulwesens sowie über Modernisierungen im Schulwesen der europäischen Länder. Changierend zwischen Herbartianismus und reformpädagogischer Bewegung, als deren Pionierin sie sich verstand, bot die „Neue Bahnen“ ein Konglomerat aus Endzeitstimmung und Zukunftsgewandtheit, Einheitsstreben und Sozialdarwinismus, Konservatismus und Reformwillen.


14.12. Vortrag: „Expressive Befreiung oder romantizistischer Antiintellektualismus? Die ästhetisch orientierenden Teilströmungen der „Reformpädagogik“ als ambivalente Symptome zwischen Emanzipation und Regression“
(Referent: Patrick Pahner (Musikpädagogik)

  • Mit der „Kunsterziehungsbewegung“ und der „Jugendmusikbewegung“ sind – einschließlich ihrer jeweiligen „Teilbewegungen“ – zwei Strömungen der sogenannten „Reformpädagogischen Bewegung“ aufgerufen, die beide – zwar in unterschiedlicher Gestalt, jedoch mit durchaus analogen anthropologischen, pädagogischen und ästhetischen Prämissen – einen spezifisch ästhetischen Weltbezug innerhalb ihrer „gesellschaftsreformerischen“ Bestrebungen betonten. Dieser Weltbezug, der in einem romantizistisch-mythologischen Weltverständnis und in der „Kulturkritik“ insbesondere Nietzsches, de Lagardes und Langbehns wurzelt, äußerte sich oberflächlich in Versuchen der „Restitution“ des „deutschen Liedguts“, gemeinschaftlichen Singens sowie einer Rück- bzw. Neubesinnung auf Kunst und künstlerische Praxis, wobei hieran nicht weniger als die Erwartung einer völligen „Reformierung“ der Erziehung insgesamt geknüpft wurde. Vor dem Hintergrund der selbstkritisch beleuchteten Frage nach möglichen Anknüpfungspunkten will der Vortrag – nach einer umfangreicheren Reflexion auf die historischen Hintergründe – u.a. jenen Punkt anvisieren, an dem Versuche einer – vielleicht sogar notwendigen? – „ästhetischen Korrektur“ der als „rationalistisch-kalt“ und „intellektualistisch überfrachtet“ erlebten Welt in eine Reduktion ethischer und besonders pädagogischer auf ästhetische Fragen, wie etwa des „Stils“, umzuschlagen drohen.

04.01. Vortrag: „‘Ich fordere Dich, weil ich Dich achte!‘ – A. S. Makarenkos Kollektiver­ziehung“
(Referentin: Christiane Mettlau (Pädagogik bei Behinderung und Benachteiligung)

11.01. Begleitseminar

18.01. Vortrag: „Eduard Heimann“
(Referent: Prof. Helmut Richter (Sozialpädagogik/Außerschulische Kinder- und Jugendbildung))

  • Heimann ist kein Klassiker der Pädagogik in dem Sinne, dass er viel oder auch nur wenig über die Pädagogik gesagt hätte. Aber er könnte ein Klassiker für die Pädagogik sein, weil er zwei Fragen miteinander verbunden hat, die insbesondere für die Sozialpädagogik unter dem Aspekt von Bildung und Gerechtigkeit große Bedeutung haben: die Religion und die Ökonomie.

25.01. Begleitseminar


Zur AG 8. Mai EW: 
Im Zuge der Aktivitäten um den Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus wurde an der Fakultät Erziehungswissenschaft die mitgliedergruppenübergreifende Arbeitsgruppe „8. Mai EW“ gegründet. Wir verstehen uns als ein Impulsgeber für kontinuierliche, erziehungs- und bildungswissenschaftliche Diskussionen zur ‚Aufarbeitung der Vergangenheit‘ innerhalb der Fakultät und Universität, richten uns aber auch an die interessierte Öffentlichkeit. Das thematische Spektrum der AG bezieht sich auf die Auseinandersetzung mit progressiven, demokratisch-sozialistischen und antifaschistischen pädagogischen Ansätzen, aber auch auf die Frage der pädagogischen (Dis-)Kontinuitäten mit Blick auf die Genese des Faschismus, über die Rolle der Pädagogik in der NS-Zeit bis hin zum Fortleben von Ideen, Denkmustern und -systemen sowie autoritären Praktiken in der Pädagogik nach 1945.